Erebus-Zyklus: The Kings Arms
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Kurzgeschichte von Andrew Wyke-Regis
„Meine
Herren, für mich wird es Zeit zu gehen“ - Richter Rowan Taggart ließ seine
Taschenuhr laut zuschnappen - „ es ist schon spät“. Jackson, sein
Yorkshire-Terrier, erschrak von dem scharfen Geräusch und jaulte kurz auf. Er
hatte den Nachmittag mit seinen Freunden im „Kings Arms“ Pub verbracht. Wie
immer wollte er nicht lange bleiben , aber wie immer wurde es dann doch spät.
Er saß mit seinen Freunden Jones, Mike-Patrick und Remington in den
Clubsesseln vor dem Kamin. Deren Frauen Lucy, Martha und Ruth hatten es sich am
Nebentisch in der nähe des Fensters gemütlich gemacht und spielten Bridge. Alle
waren bester Laune, unterhielten sich lebhaft. Nun raffte er sich auf, der Bus
musste auch gleich kommen. Sie verabschiedeten sich herzlich, nicht ohne ihm
das Versprechen für ein baldiges Wiedersehen abzuringen. Er trat aus dem „Kings
Arms“ und entschied sich zur übernächsten Haltestelle zu laufen. Der
einbrechende Abend war herrlich und seinen müden alten Knochen tat etwas
Bewegung gut. Seit seiner Pensionierung vor fünf Jahren bekam er dank seiner
vielen Ausflüge schon mehr Bewegung als früher in seinem Berufsleben, aber
jetzt meldete sich doch sein Alter. Kaum an der Haltestelle angelangt dampfte
auch schon der Bus heran. Er kaufte ein Billet und setzte sich auf eine der
harten Holzbänke. Zischend und fauchend setzte sich der Bus in Bewegung,
rumpelte die Beach - Promenade entlang, vorbei an Weymouth`s
Jubelee-Clock und dem großen Pier wo noch erstaunlich viel Betrieb herrschte,
in Richtung Osmington. Dem Lärm und der harten Schläge auf seinen Rücken überdrüssig,
stieg er schon ein paar Stationen vor seinem Ziel aus. Den Rest würde er zu Fuß
bewältigen. Die Abkürzung, den einsam gelegenen Weg durch die Heide, liebte er
sowieso. Dort in der Heide fand Taggart Ruhe und Entspannung. Auch Jackson war
froh dem Höllenungetüm entwischt zu sein und zog kräftig an der Leine.
Taggart ließ
den Tag Revue passieren – dachte voller Zuneigung an seine Freunde. Jones
– weit gereister Archäologe, hatte viele Abenteuer bei seinen Ausgrabungen in
aller Herren Länder erlebt. Sogar ein Herr aus Übersee, aus Indiana oder so,
welcher sich einer neuen Erfindung, des Kinematographen bediente, wollte einen
Filmhelden nach ihm benennen. Mike-Pattrick hatte lange ein schottisches
Regiment in Indien befehligt. Er war der Meinung, dass nicht das blanke Bajonett
damals, Anno´88, die aufständischen Pashtunen aus dem Khyber-Paß vertrieb,
sondern nur der scharf gespielte Dudelsack. Dann war da noch Remington – seines
Zeichens ein begnadeter Feinmechaniker. Man munkelte, dass sogar ein gewisser
Mister Sherlock Holmes aus London hin und wieder Rat in Punkto Mechanik bei ihm
suchte. So in Gedanken vertieft näherte Taggart sich dem kleinen Wäldchen in
der Nähe seines Anwesens. Ein leises Brummen über ihm riss ihn aus seinen
Gedanken. Er blickte hoch. Ein Luftschiff der Coast-Guard steuerte langsam
seinen Stützpunkt auf Portland an. Luftschiffe lösten in ihm immer romantische
Gedanken an Ferne, Abenteuer und den unendlichen Horizont aus, wohl wissend, dass
der Dienst auf einem Luftschiff oft wenig mit Romantik zu tun hatte. Es war
halt die Gelassenheit welche diese Kolosse im Angesicht der Hektik der neuen
Zeit ausstrahlten, wenn sie am Himmel ihren Weg suchten.
Aus Richtung
Frankreich zogen schwere Wolken auf – beeilen wir uns lieber. Dann gewahr er
jenes merkwürdige Gefährt auf dem Küstenweg, abgestellt nah an der Steilküste.
Eines von den neuen dampfgetriebenen Fahrzeugen, welche nur aus einem
übergroßem Reifen zu bestehen schienen, worin man Platz nahm.. „Na wenn das
dort nicht mein alter Freund Andrew ist“ - sprach`s und grinste Jackson an.
Andrew stand neben dem Vehikel und unterhielt sich gerade mit dem Offizier
eines Zuges Küstenwächter. Diese marschierten aber sofort weiter, waren
offensichtlich auf dem Rückmarsch zum Stützpunkt. Andrew trat um sein Vehikel
herum und zog an Hebeln und Schaltern. Leises Zischen und Stampfen wehte zu
Taggart herüber - erwachte dieses Vehikel wohl gerade zu neuem Leben. Er sah
auch wie sich Andrew sein linkes Bein massierte. Offensichtlich machte es ihm
wieder zu schaffen. Nachdenklich blickte er zu Andrew hinüber.
Hatte er
doch - es war ein halbes Jahr her – einen beinahe Absturz mit seiner geliebten
Erebus am Hindukush erlebt. Viele seiner Mannschaft wie auch er wurden dabei
verletzt . Nach einem kurzen Gefecht mit zwei chinesischen Luftschiffen und
einer Maschinenhavarie kam die Erebus noch gerade so davon. Damals ging die
Geschichte durch alle Gazetten. Zwar noch im Genesungsurlaub würde sich Andrew
aber bald wieder nach Indien begeben, wo sein Luftschiff im Dock lag. So einer
konnte nicht lange an Land sein. Jetzt riskierte er mit diesem neuen Ding schon
wieder Kopf und Kragen. Taggart dachte zurück an die Zeit wo er den jungen
Andrew mit seinem schwarzen Rappen Sultan die Küste entlang galoppieren sah.
Nun ja – das Pferd musste wohl schon zu alt sein. Er hatte Sultan schon lange
nicht mehr gesehen. Und Master Andrew hatte nur noch diese technischen
Neuerungen im Kopf, sauste nur noch mit diesem Dampfrad herum. War feuerrot,
irgend so ein italienisches Fabrikat. Moderne Zeiten eben. Gerade eben hatte
sich Taggart wieder seinem Nachhauseweg zugewandt. Er blickte sich noch einmal
um und sah wie das Monobike den Küstenweg entlangbrauste.
Der
Yorkshire schüttelte sich kurz und zog mächtig an der Leine. „Nur die Ruhe, wir
gehen ja schon, Jackson. Taggart`s Blick wanderte über die Heidelandschaft. Der
Tag neigte sich dem Ende. Die Dunkelheit nahm langsam Besitz von dem Land. Er
fröstelte ein bisschen. Im Spätsommer konnten hier am Kanal die Nächte schon
empfindlich kalt werden. Nachdem er die Heide hinter sich gelassen hatte konnte
er, gleich neben dem Wäldchen, sein Haus sehen. Das Haus und die Einfriedung
bestanden aus dem hier allgegenwärtigem Portland-Sandstein, welcher drüben auf
eben dieser Halbinsel gebrochen wurde. Er durchschritt den Torbogen und
durchquerte seinen Rosengarten. Er war sehr stolz auf seine Rosen. Was sollte
ein pensionierter Richter auch sonst tun ohne auf dumme Gedanken zu kommen? Als
er ins Haus trat kam ihm Miss Millie, seine Haushälterin, schon entgegen. „Sie
kommen immer später nach Hause, Richter“ schwang da nicht ein wenig Kritik mit?
Und dann schon etwas milder „ Na dann werde ich mal das Abendessen servieren.“
„Seien sie bitte nicht so streng mit einem alten Mann“ er ließ Jackson von der
Leine „und machen sie sich keine Umstände – ich esse heute Abend in der Küche“.
Beim Essen besprachen sie noch den morgigen Tag, erwartete Richter Taggart doch
anspruchsvolle Gäste. Später zog er sich noch in sein Arbeitszimmer zurück. Auf
den kleinen Tisch neben dem Sessel stand ein kleiner, mechanischer Vogel.
Taggart streichelte ihm über den Kopf. Darauf ertönte ein leises Surren, der
Vogel schlug leicht mit den filigranen Flügeln und begann zu Zwitschern. Ein
kleines Wunderwerk. Bevor er es sich bequem machte, ging er zum Bücherschrank
um sich eine Lektüre herauszusuchen. Konnte er sich erst nicht entscheiden,
fiel jetzt sein Blick auf ein neues Buch welches erst vor kurzem erschienen
war. „Wer war doch gleich der Autor –ah ja: Jules Verne“ er grinste in sich
hinein „dieser verrückte Franzose“. Wie Master Andrew total technikverrückt,
sponn er diesen Faden weiter. Erschuf sich seine eigenen, fantastischen Welten
- und fand damit immer mehr begeisterte Leser. Er nahm sich nun dieses Werk
vor. Trotz der fortgeschrittenen Stunde wären wohl noch ein paar Seiten drin.
So schlug er das Buch erwartungsvoll auf…………
Später am
Abend fand Miss Millie Richter Taggart schlafend in seinem geliebten Lehnstuhl.
Auf seiner Brust das aufgeschlagene Buch. Der kleine, mechanische Vogel war
schon lange verstummt. Sie nahm das Buch vorsichtig um ihn nicht zu wecken und
legte es beiseite. Dann holte sie noch eine Decke, weil - ins Bett würde er
wohl nicht mehr gehen. Neugierig blickte sie auf den Einband des Buches. „Das
Licht am Ende der Welt“ – stand dort. Und der Autor? Na - klingt französisch.
In dieser Nacht zog ein leichtes Unwetter über diesen Küstenabschnitt. Dessen
wurde Richter Taggart nicht gewahr, träumte er doch von modernen Leuchttürmen
in gottverlassenen Gegenden, Pflichtbewusstsein und Piraterie.
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